Und Wir ?
Drei Plakate 1966 – 1968 – 2019 in unserem Schaufenster
Als die Deutsche Bundesbahn 1966 eine Werbekampagne lancierte mit dem markanten Allerweltsspruch „Alle reden vom Wetter“ auf schwarzem Grund mit dem Bild einer Bahn, die durch eine winterlich verschneite Landschaft pflügt, hatte diese Aussage – neben der schlichten Überlegenheit der Bahn bei allen Wetterlagen – auch eine zutiefst politische Dimension: Es wird auf die mangelnde Tiefe von ‘small talk’ angespielt, wie es in den 60ern zu kritisieren populär wird.
Noch war ein Schweigen an der Tagesordnung – aber die Ulmer „Einsatzgruppen“- Prozesse und die vom Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer vorangetriebenen Auschwitz-Prozesse in den frühen 60ern hatten dieses Dogma angekratzt. Die werbliche Pointe „Wir nicht“ liest sich wie eine Nebensächlichkeit und der ausgesprochen klein geratene Hinweis „Fahr lieber mit der Bundesbahn“ und das Firmenlogo unterstreichen die Selbstverständlichkeit, mit der die Bahn damals noch Verlässlichkeit und Pünktlichkeit (zu dieser Zeit) für sich beansprucht.
1968 nutzten die Kunststudenten Ulrich Bernhardt und Jürgen Holtfreter von der Kunstakademie Stuttgart das populäre Motiv und verwandeln es in ein Wahlplakat des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Eine erste Auflage von 60 Plakaten wurde 1968 an der Aka hergestellt, kurz darauf 1969 eine größere Auflage von 2000 Expl.
Die Hintergrundfarbe hat sich vom Schwarz ins revolutionäre Rot gewandelt und statt der Eisenbahn sind die Portraits von Marx, Engels und Lenin verewigt. In der Zeit des Kalten Krieges ein Affront! Mit den drei revolutionären Übervätern war in der Zeit von Kommunistenhass und Amerikaorientierung herrlich zu provozieren. Was auch gelang. In späteren Nachdrucken des SDS wurden Auflagen von mehrmals 50.000 Exemplaren realisiert. Heute kann man das Motiv sogar im Deutschen historischen Museum in Bonn auf Kaffeetassen erwerben.
Im Herbst 2019 zur großen friday for future – Demonstration in hunderten von Städten in Deutschland, Europa und auch Weltweit erinnerte sich die Künstlerin Anne-Christine Klarmann aus Tübingen an die alte Botschaft und übertrug sie in neue Zusammenhänge: auf blauem Hintergrund sehen wir nun die Portraits von drei jungen Frauen: Judith Ellens, Greta Thunberg und Carola Rakete alle bekannt durch ihr soziales und klimapolitisches Engagement. Klarmann schafft mit den alten Bildern eine neue (bessere?) Hoffnung. Nun ist es die weibliche Jugend, die sich der Sache annimmt. Ein Verweis auf eine Partei oder ein Unternehmen ist nicht mehr nötig.